Die lässigste Station meiner Reise bisher fängt völlig unentspannt an:
Ich sitze in einem vollen Zug und schwitze. Es ist heiß und stickig. Das offene Fenster macht Lärm und frische Luft kommt kaum bei mir an. Überall um mich herum sitzen Junge Leute, die in Ihrem Handys oder Laptops schauen. Ich bin froh, dass ich überhaupt noch einen Sitzplatz gekriegt habe. Denn ich fahre nicht in einem ICE der deutschen Bahn sondern in einem Flixxtrain.
Von Wolfsburg nach Berlin kostet hier die Fahrt sogar weniger als die Mitfahrgelegenheiten im Internet. Dafür gibt es aber nur 1-2 Verbindungen am Tag, der Reisekomfort ist nicht hoch und es gibt kein Wi-Fi und keinen Strom im meinem Wagen. Dennoch: nach knapp über eine Stunde Fahrt kommen wir in Berlin Hauptbahnhof an. Das kam mir schnell vor.

Ich habe für meine Weiterreise von Wolfsburg nach Berlin und nach Thessaloniki nochmals meine Reisesachen reduziert. Ein Kleiner Koffer und eine kleine Umhängetasche sollten reichen. Das allernötigste an Klamotten sind darin verstaut und mein Laptop. Damit möchte ich unnötige Flugkosten sparen. Ich gehe davon aus, dass meine Schwester mich mit Klamotten eindecken wird in Griechenland.
Es ist sehr heiß in Berlin und ich laufe sehr gemütlich zur Allee Unter den Linden, wo ich die Maren im Büro treffen möchte. Maren ist eine gute Freundin, die ich vor vielen Jahren kennengelernt habe beim Cutten beim staatlichen Fernsehen. Wir haben uns seit 7 Jahren nicht mehr gesehen und ich freue mich drauf, sie wiederzusehen.

Was mir auffällt in Berlin-Mitte: ich werde kaum überholt, obwohl ich doch eher langsam laufe. Viele Menschen sitzen überall herum, kein Hupen der Autos, kein Stau. Die einzigen, die mich überholen sind offensichtliche Touristen aus Ostasien. Ein entspanntes Berlin, denke ich mir.
Das Wiedersehen mit Maren ist toll. Sie hat sich kein bisschen verändert, wir können sofort dort anknüpfen, wo wir vor 7 Jahren aufgehört haben. Ich darf meine Sachen im Redaktionsbüro abstellen und mich in Berlin Mitte herumtreiben bis zu ihrem Feierabend.

Ich fühle mich mitten in Berlin gleich wohl, habe keinerlei Ziele und lasse mich von meiner Neugierde treiben. Mit einem leckeren Eis in der Hand sitze ich dann später entspannt auf einer schattigen Parkbank unter Platanen und schaue auf die Touristenschiffe auf der Spree an. Neben mir setzen sich bald drei Damen um die 40-50 Jahre und unterhalten sich.

Sie sprechen darüber, dass sie teilweise unglücklich mit ihren Jobs sind und nach Auswegen suchen. Eine von ihnen hat nun wieder angefangen zu studieren, weiß aber nicht, was sie genau danach machen soll. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und fange an mit zu diskutieren. Damit haben sie nicht gerechnet, aber sie lassen es geschehen.
Wie findet man denn heraus, was einem wirklich liegt? Man hat ja nicht die Zeit und das Geld so lange Vieles auszuprobieren, bis man seinen Traumberuf gefunden hat? Das sind im wesentlichen ihre Fragen.
Ich habe das Gefühl, dass sie erst dann gewohnte Pfade verlassen möchten, wenn sie vorher schon wissen, was genau auf sie zukommen mag und dass es auch finanziell funktionieren wird. Ich kann sie gut verstehen, mir ging es nicht anders noch vor wenigen Jahren.

Jetzt lasse ich vorwiegend dem eigenen Fühlen und Spüren mehr Raum zu und vertraue darauf, dass das Richtige für mich schon passieren wird.
Es entwickelt sich ein sinnig entspanntes Gespräch, von dem jeder etwas mitgenommen hat, ist mein Eindruck. Die Studentin unter den Damen, hat einiges mehr für sich mitgenommen, kommt mir vor.
Danach entdecke ich neben einer lockeren

Uni-Atmosphäre an der Humboldt Universität (Dorotheenstraße) auch einen seltenen und schönen Baum im Garten. Ginkobaum. Den kannte ich vorher nicht. Ein schöner „Tempelbaum“ aus China und der Baum des Jahrtausends. Er ist weder Laub noch Nadelbaum. Interessant, eine ganz eigene Gattung also. Seine Samen sind essbar. Das passt gut, dass er in der Humboldt Uni steht, denke ich mir. Der Name gefällt mir, Ginko.

Den Abend verbringe ich dann mit Maren unterwegs in ihrem Kiez. Sie wohnt seit 6 Jahren mit ihrem Freund Volker in Neukölln. Berlin verändert sich unentwegt, sagt sie mir, aber der Rhythmus der Stadt bleibt trotzdem entspannt. Vielleicht liegt es daran, dass es hier nach wie vor viele Arbeitslose oder Leute gibt, die alternative Lebensweisen leben.
Das erlebe ich auch als wir dann später auf der Admiralsbrücke sitzen. Mittendrin umgeben von vielen weiteren Menschen um uns herum, die sich dort treffen, um den Tag mit einer gemütlichen Flasche Bier ausklingen zu lassen. Direkt neben uns fahren die Autos von Neukölln zum Kreuzberger Ufer rüber. Die Restaurants und die Cafés sind voller Menschen, alle sind draußen, flanieren und trotzdem gibt es keinen Stress. Berlin liegt mir.
Maren ist total glücklich hier zu leben, auch wenn sie mittlerweile fast mehr englisch spricht beim Essenbestellen oder den Angelegenheiten des Alltags. Sie liebt ihren stressigen aber abwechslungsreichen Job als Kultur-Redakteurin und hat aber auch gelernt, entspannter damit umzugehen, dass auch mal etwas daneben gehen kann. In Berlin zu leben, hat Ihr sicherlich dabei geholfen, denke ich mir.

Um Mitternacht herum lerne dann auch ihren Freund Volker kennen. Als wir uns dann zu dritt in ihrer Wohnung einen letzten Drink genehmigen wollen, muss er sich vor Rückenschmerzen auf dem Boden der Wohnung legen. Er arbeitet als selbstständiger Produktdesigner. Zwölf Stunden pro Tag vor dem Computer sitzen sind unter der Woche eher die Regel. Dafür unternehmen Volker und Maren dann am Wochenende viel gemeinsam.
Volker bezeichnet sich selbst als Workoholic. Ich finde aber, dass er trotzdem sich seine Sensibilität und Selbstreflektion bewahrt hat. Mich hat es beeindruckt, wie bewusst und lässig er mit seinen Rückenschmerzen und den tieferen Ursachen darüber reden kann. Er kann schnell auffassen, spüren und auch schnell bewusst handeln, offen und konstruktiv.

Ich fühle mich in Berlin wirklich wohl. Sowohl der Rhythmus der Stadt, die Kultur aber auch die Freiheit, die man hier zugesprochen erhält, finde ich anziehend. Als nächstes fliege ich nach Griechenland, aber Berlin bleibt wie auch Köln ein Ort, wo ich mit Vieles vorstellen kann.